BFH - Urteil vom 14.1.2020 - VIII R 4/17

(Vorinstanz: FG Düsseldorf - Urteil vom 16.2.2017 - 14 K 3554/14)

In einer am 28.5.2020 veröffentlichten Entscheidung hat der VIII. Senat des Bundesfinanzhofes entschieden, dass ein bestandskräftiger Einkommensteuerbescheid bei fehlender Erfassung der von Steuerpflichtigen ordnungsgemäß erklärten Einkünfte nicht mehr nachträglich nach § 129 AO (Abgabenordnung) berichtigt werden kann, wenn wenn die fehlende Erfassung der von steuerpflichtigen ordnungsgemäß erklärten Einkünfte trotz ergangener Prüf- und Risikohinweise im Rahmen eines Risikomanagementsystems nicht auf einem bloßen "mechanischen Versehen" beruht.

In dem vom BFH entschiedenen Fall hatte der Steuerpflichtige in der Anlage S zur Einkommensteuererklärung Einkünfte aus selbstständiger Arbeit in Höhe von EUR 128.641 erklärt, diese wurde durch den Sachbearbeiter des Finanzamtes versehentlich übersehen, so dass eine Erfassung der Einkünfte aus selbstständiger Arbeit unterblieb. Nach maschineller Überprüfung der eingescannten Daten gingen im Veranlagungsbezirk mehrere Prüf- und Risikohinweise ein, die u.a. auf Einkünfte "des Ehemanns/der Ehefrau von weniger als EUR 4.200" hinwiesen und eine "personelle Prüfung" des als "risikobehaftet" eingestuften Falls vorsahen.

Die zuständige Sachbearbeiterin beim Finanzamt bearbeitete diese Prüf- und Risikohinweise, prüfte jedoch nicht, ob die Einkünfte aus selbstständiger Arbeit des Klägers zutreffend im Einkommensteuerbescheid übernommen worden waren.

Erst im Folgejahr wurde der Fehler erkannt und der Einkommensteuerbescheid nach § 129 Satz 1 AO berichtigt.

Das Finanzgericht Düsseldorf vertrat die Auffassung, dass das Finanzamt zur Berichtigung des Einkommenbsteuerbescheids berechtigt geweseen sei.

Dem folgte der BFH nicht und gab dem Steuerpflichtigen recht.

§ 129 Satz 1 AO erlaubt nur die Berichtigung von Schreibfehlern, Rechenfehlern und ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten (sog. mechanische Versehen), die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind. § 129 AO ist dagegen nicht anwendbar, wenn dem Sachbearbeiter des Finanzamts ein Tatsachen- oder Rechtsirrtum unterlaufen ist oder er den Sachverhalt mangelhaft aufgeklärt hat.

Im vorliegenden Fall beruht der fehlerhafte Einkommensteuerbescheid darauf, dass die zutreffende Höhe der im Bescheid angesetzten Einkünfte nicht aufgeklärt wurde, obwohl aufgrund der Risiko- und Prüfhinweise Zweifel an der Richtigkeit dieser Einkünfte bestanden und deshalb eine weitere Sachaufklärung geboten war. Das schließt das Vorliegen eines bloß mechanischen Versehens und damit die Anwendung der Berichtigungsnorm des § 129 AO aus.

Quelle: www.bundesfinanzhof.de - Pressemitteilung vom 28.5.2020   

Fazit:

Der Entscheidung läßt sich anschaulich entnehmen, in welchem Ausmass "Legal Tech" auch bei den Finanzämtern bereits Einzug gehalten hat, indem durch sog. "Risikomanagementsysteme" z. B. bei außergewöhnlich niedrig erklärten Einkünften automatisch sog. "Risiko- und Prüfhinweise" generiert werden, damit das veranlagende Finanzamt rechtzeitig vor Eintritt der Bestandskraft des betreffenden Steuerbescheids etwaige Fehler noch korrigieren kann. Derartige Systeme stoßen natürlich dort an ihre Grenzen, wo der der zuständige Sachbearbeiter solchen "Risiko- und Prüfhinweisen" nicht nachgeht, also das "Human Element" eine rechtzeitige Korrektur des technisch erkannten Fehlers verhindert hat, so dass der Steuerpflichtige sich in dem vom BFH entschiedenen Fall im Ergebnis - zu Recht! - über eine deutlich zu niedrig festgesetzte Einkommensteuer freuen durfte. Dies hatte das FG Düsseldorf in der ersten Instanz noch anders gesehen.

CG, 05.6.2020