BFH - Beschluss vom 01. September 2020, II B 16/20

Pflichtteilsverzicht als wucherähnliches Geschäft; Auswirkungen auf im Zusammenhang stehende Vermächtniserfüllung

ECLI:DE:BFH:2020:B.010920.IIB16.20.0

BFH II. Senat

FGO § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2 , BGB § 138 , AO § 41 Abs 1 

vorgehend FG Köln, 04. Dezember 2019, Az: 7 K 1855/16

Leitsätze

1. NV: Ein im Zusammenhang mit einem Vermächtnis erklärter Pflichtteilsverzicht kann wegen § 138 BGB unwirksam sein. 

2. NV: Ob ein besonders grobes Missverhältnis i.S. des § 138 BGB zwischen dem Wert des Vermächtnisses und dem Wert des Pflichtteils vorliegt, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen. 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 04.12.2019 - 7 K 1855/16 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

  1. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist der Enkel der Erblasserin. Mit Datum vom 04.01.2002 schloss die Erblasserin mit ihrer Tochter (der Mutter des Klägers) einen Erbvertrag, in dem sie Vermächtnisse (Anteile an einer KG) für ihre Enkel (den Kläger und seine beiden Brüder) und einen Nießbrauch hieran für ihre Tochter bis zum 25. Lebensjahr des jüngsten Enkelkindes anordnete. Zudem vereinbarten die Vertragschließenden einen Pflichtteilsverzicht und Ausgleichsleistungen. Die Erblasserin verstarb im Dezember 2002.
  2. Ausgehend von einem durch Vermächtnis erworbenen Anteil am Betriebsvermögen der KG setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) die Erbschaftsteuer beim Kläger zunächst erklärungsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest. Insbesondere wegen geänderter Bewertung des Betriebsvermögens wurde der Bescheid mehrfach geändert. Der Kläger legte Einspruch ein. Im Laufe des Einspruchsverfahrens beantragte er die Aufhebung des Erbschaftsteuerbescheids.
  3. Der Kläger vertritt die Auffassung, das unter Pflichtteilsverzicht eingeräumte Vermächtnis sei wegen der Sittenwidrigkeit des zwischen der Erblasserin und ihrer Tochter geschlossenen Erbvertrags unwirksam. Es bestehe ein krasses Missverhältnis zwischen dem Wert des Pflichtteilsanspruchs der Mutter des Klägers und ihrer dafür erhaltenen Abfindung. Ferner sei das eingeräumte Vermächtnis aufgrund anfänglicher Unmöglichkeit unwirksam. Der Alleinerbe sei nicht in der Lage gewesen, das Vermächtnis zu erfüllen. Letztlich beruhe der Erwerb des Klägers auf einem entgeltlichen Vorgang und unterliege nicht der Erbschaftsteuer.
  4. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage als unbegründet abgewiesen. U.a. habe der Kläger die Anteile an der KG durch ein wirksames Vermächtnis erworben.
  5. Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht der Kläger das Erfordernis einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) geltend.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Beschwerde ist unbegründet.
  2. 1. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO sind nicht erfüllt.
  3. a) Die Zulassung der Revision aus diesem Grund setzt voraus, dass das FG in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Gerichts abgewichen ist, dass dabei über dieselbe Rechtsfrage entschieden wurde und diese für beide Entscheidungen rechtserheblich war, dass die Entscheidungen zu gleichen oder vergleichbaren Sachverhalten ergangen sind, dass die abweichend beantwortete Rechtsfrage im Revisionsverfahren geklärt werden kann und dass eine Entscheidung des BFH zur Wahrung der Rechtseinheit erforderlich ist. Zur schlüssigen Darlegung einer solchen Abweichungsrüge muss der Beschwerdeführer tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen FG-Urteil einerseits und aus den behaupteten, genau bezeichneten Divergenzentscheidungen andererseits herausarbeiten und einander gegenüberstellen, um so die behauptete Abweichung zu verdeutlichen (BFH-Beschlüsse vom 05.06.2019 - II B 21/18, BFH/NV 2019, 1253, Rz 11, und vom 05.03.2020 - II B 99/18, BFH/NV 2020, 852, Rz 13, jeweils m.w.N.).
  4. b) Nach Auffassung des Klägers ist das FG von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Sittenwidrigkeit wucherähnlicher Geschäfte (vgl. u.a. BGH-Urteil vom 19.01.2001 - V ZR 437/99, BGHZ 146, 298) abgewichen.
  5. Nach der Rechtsprechung des BGH könne ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung den Schluss auf eine bewusste oder grob fahrlässige Ausnutzung eines den Vertragspartner in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigenden Umstandes rechtfertigen. Für das Vorliegen eines besonders groben Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung und die daran anknüpfende Schlussfolgerung auf die verwerfliche Gesinnung komme es allein auf die objektiven Werte dieser Leistungen an. Allein ein besonders grobes Äquivalenzmissverhältnis erlaube es, auf die verwerfliche Gesinnung als subjektives Merkmal des § 138 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zu schließen. Jedenfalls handele es sich um eine beweiserleichternde tatsächliche Vermutung für die verwerfliche Gesinnung des Begünstigten.
  6. Demgegenüber sei das FG bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass ein Pflichtteilsverzicht bei Vorliegen einer Gegenleistung erst recht wirksam sein könne, wenn er nach dem BGB auch ohne eine Gegenleistung wirksam sein könne. Ein besonders grobes Verhältnis zwischen dem Wert des Pflichtteilsverzichts und der dafür erhaltenen Abfindung sei für die Prüfung einer möglichen Sittenwidrigkeit unbeachtlich. Für das Vorliegen einer möglichen Sittenwidrigkeit eines Pflichtteilsverzichts sei nicht auf das Verhältnis des Werts des Verzichts zum Wert der Abfindung abzustellen, sondern darauf, ob der Verzichtende subjektiv als durch die Abfindung versorgt angesehen werden konnte.
  7. c) Die vom FG aufgestellten Rechtssätze stehen der Rechtsprechung des BGH nicht entgegen.
  8. aa) Das FG ist davon ausgegangen, dass die Unwirksamkeit des Abfindungsgeschäfts wegen § 138 BGB auch zur Unwirksamkeit des Pflichtteilsverzichts führen kann. Dabei hat es ausdrücklich Bezug genommen auf das Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm vom 08.11.2016 - I-10 U 36/15 (Zeitschrift für das gesamte Familienrecht --FamRZ-- 2017, 1167). In diesem Fall entschied das Gericht, dass der streitgegenständliche Erbverzicht, in dem ein Ungleichgewicht zu Lasten des Verzichtenden bestand, sittenwidrig war.
  9. Damit hat das FG keine divergierenden Rechtssätze aufgestellt. Vielmehr hat es im Rahmen seiner tatsächlichen Würdigung den Wert des Nachlasses und die Abfindungsleistungen gegenüber gestellt und kein sittenwidriges Missverhältnis im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses feststellen können. Auch wenn das FG von einer wertmäßigen Differenz zwischen der Abfindung und dem Wert des Nachlasses ausgeht, fehlt es seiner Auffassung nach an einem besonders groben Missverhältnis, das Voraussetzung für die Unwirksamkeit ist. Somit ist es der Rechtsprechung des BGH gefolgt, wonach die Voraussetzungen des § 138 BGB anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls festgestellt werden (vgl. BGH-Beschluss vom 14.06.2017 - III ZR 487/16, Neue Juristische Wochenschrift–Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2017, 1261, Rz 7).
  10. bb) Tatsachenwürdigungen kann der BFH nur daraufhin überprüfen, ob sie verfahrensfehlerfrei zustande gekommen sind und mit den Denkgesetzen und den allgemeinen Erfahrungssätzen im Einklang stehen, unabhängig davon, ob sie nicht zwingend, sondern nur möglich sind (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 29.06.2016 - II R 41/14, BFHE 254, 64, BStBl II 2016, 865, Rz 28, und vom 12.02.2020 - XI R 24/18, BFHE 268, 351, Deutsches Steuerrecht 2020, 1190, Rz 47, jeweils m.w.N.).
  11. Ausgehend davon ist die Tatsachenwürdigung durch das FG nicht zu beanstanden. Das FG hat zutreffend den aleatorischen Charakter eines Pflichtteilsverzichts, in dem jeder Beteiligte bewusst Unsicherheiten hinsichtlich der persönlichen und wirtschaftlichen Entwicklung in der Person des Erblassers und des Verzichtenden auf sich nimmt (vgl. BGH-Urteil vom 13.11.1996 - IV ZR 62/96, BGHZ 134, 60, Rz 15; Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 27.01.1995 - 1Z BR 22/94, FamRZ 1995, 964, Rz 19; Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 23.03.2018 - 6 O 6494/17, FamRZ 2018, 1867, Rz 31, 50; Muscheler in Groll/Steiner, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, 5. Aufl. 2019, Erbverzicht, Rz 18.199), berücksichtigt und zu Recht darauf hingewiesen, dass der Tod der Erblasserin im Dezember 2002 keine Auswirkung auf die Beurteilung des Verhältnisses der gegenseitigen Leistungen bei Vertragsschluss im Januar 2002 habe. Diese tatsächliche Würdigung steht mit den Denkgesetzen und den allgemeinen Erfahrungssätzen im Einklang. Der BFH wäre daran auch in einem Revisionsverfahren gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden.
  12. cc) Soweit der Kläger vorträgt, das FG stütze sein Urteil auch darauf, dass neben den objektiven Tatbestand des groben Missverhältnisses der Leistungen ein subjektives Tatbestandsmerkmal des § 138 BGB hinzutreten müsse, um die mögliche Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts festzustellen, lässt sich auch hieraus nicht das Erfordernis einer Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ableiten.
  13. Ein solcher Rechtssatz liegt dem angefochtenen Urteil nicht zugrunde. Das FG hat bereits die Voraussetzungen des objektiven Tatbestands (grobes Missverhältnis) verneint. Soweit es im Weiteren noch Ausführungen zum Vorliegen des subjektiven Tatbestands des § 138 BGB gemacht hat, geschah dies lediglich zur Prüfung, ob sich eine Unwirksamkeit des Verzichts nach § 138 Abs. 1 BGB aus dem Gesamtcharakter der dem Verzicht zugrundeliegenden schuldrechtlichen Vereinbarung ergab (vgl. OLG Hamm Urteil in FamRZ 2017, 1167, Rz 30, m.w.N.).
  14. d) Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen wäre selbst bei einer Abweichung von der BGH-Rechtsprechung die abweichend beantwortete Rechtsfrage im Revisionsverfahren nicht klärbar.
  15. Selbst wenn man aufgrund einer Unwirksamkeit des Pflichtteilsverzichts zur Unwirksamkeit der den Kläger lediglich begünstigenden Vermächtnisanordnung käme, unterläge das Vermächtnis gleichwohl der Erbschaftsteuer. Wird eine Verfügung von Todes wegen ausgeführt obwohl sie unwirksam ist, und beruht die Ausführung der Verfügung auf der Beachtung des erblasserischen Willens, den Begünstigter und Belasteter anerkennen, ist gemäß § 41 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) das wirtschaftliche Ergebnis dieses Vollzugs erbschaftsteuerrechtlich zu beachten (BFH-Urteil vom 22.09.2010 - II R 46/09, BFH/NV 2011, 261, Rz 8, m.w.N). Ein formunwirksames Vermächtnis ist danach erbschaftsteuerrechtlich zu erfassen, wenn feststeht, dass der Beschwerte die Rechtshandlungen, die sich als Erfüllung dieses Vermächtnisses darstellen, mit dem Willen vorgenommen hat, dem (formunwirksam) geäußerten letzten Willen des Erblassers zu entsprechen (BFH-Urteil vom 28.03.2007 - II R 25/05, BFHE 215, 557, BStBl II 2007, 461, Rz 9, m.w.N.).
  16. Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen ist hier aufgrund der vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen auszugehen.
  17. 2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
  18. 3. Im Übrigen ergeht die Entscheidung gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ohne Angabe weiterer Gründe, insbesondere ohne detaillierte Darstellung des Tatbestands.